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Die Witterung im Frühjahr 2023 und ihre Auswirkungen auf den Obstbau

Spätfröste, niedrige Tageshöchsttemperaturen und hohe Niederschläge prägten die Blütezeit

Autor: Dr. Michael Neumüller
Vom: 18. Mai 2023

Verlauf der Feuchttemperatur an zwei Tagen der Karwoche 2023 am Bayerischen Obstzentrum
Eiskristalle auf einem Blütenstand des Apfels am Ende einer Frostnacht mit weniger als –8 °C

Wenn es schon unabänderliche Ereignisse mit schädigenden Auswirkungen auf die Obstblüte gibt, sollte man zumindest versuchen, diesen noch schöne Seiten abzugewinnen. Aus diesem Blickwinkel ist das obige Photo zu sehen. Es zeigt den Blütenstand eines Apfelbaums am Morgen des 07. April 2023 bei Temperaturen von weniger als minus 8 °C. Die Eiskristalle legen sich wie glänzende Schuppen auf die Oberfläche der Rosettenblätter und kleinen Blüten.

Kurzum, die Witterung im Frühjahr zwischen Mitte März und Mitte Mai verlief nicht so, dass es für die Ertragsbildung im Obstbau förderlich gewesen wäre. Dies hat drei Gründe:

  1. Spätfröste ungeahnten Ausmaßes
  2. Dauerhaft niedrige Tageshöchstwerte in der Blütezeit
  3. Hohe Niederschlagsmengen
Verlauf der Temperaturen in einer Obstanlage am Bayerischen Obstzentrum an zwei Tagen mit Nachtfrösten in der Karwoche 2023

(1) Spätfröste

Bis Mitte März schritt die Vegetation bei recht milden Temperaturen schnell voran. Danach wurde es dauerhaft kühl. Dadurch entwickelten sich die Blütenknospen nur noch langsam weiter. Anfang April kam polare Kaltluft nach Süddeutschland. In der Karwoche sanken die Temperaturen in zwei aufeinanderfolgenden Nächten auf unter minus 7 bzw. minus 8 °C ab. Vergegenwärtigt man sich, dass es während der gesamten Wintermonate (Dezember bis Februar) nur an wenigen Tagen Mitte Dezember ähnlich kalt oder kälter war, wird ersichtlich, wie ungewöhnlich diese Vorkommnisse sind. An Weihnachten war es nachts wie tagsüber viel wärmer als in der Karwoche.

Die Graphik zeigt den Verlauf der Feucht- und Trockentemperaturen in zwei Nächten in der Karwoche, wie sie von einer der Wetterstationen des Bayerischen Obstzentrums in einer Obstanlage gemessen wurden. Ein strahlungsgeschütztes Thermometer misst die Lufttemperatur, sie wird als Trockentemperatur bezeichnet und ist den meisten Menschen geläufig. Auch in den Wetterprognosen wird diese Temperatur verwendet. Die Temperatur der Blüten und Blätter gibt die Trockentemperatur aber nur unzureichend wieder. Denn sie hängt außer von der Lufttemperatur von mindestens zwei weiteren Faktoren ab:

  • der Verdunstungskälte: Blätter verlieren immer etwas Wasser durch Verdunstung, auch nachts. Je trockener die Luft ist, desto mehr Wasser kann verdunsten. Auch Wind fördert die Verdunstung. Je niedriger die relative Luftfeuchte und je höher die Windgeschwindigkeit ist, desto mehr kühlt ein Blatt also ab.

  • der Wärmestrahlungsbilanz: Die Blatttemperatur hängt außer von der Lufttemperatur davon ab, ob mehr Wärme durch Wärmestrahlung (z. B. von der Sonne) auf das Blatt trifft als vom Blatt seinerseits an die Umgebung abgegeben wird. In der Regel liegt die Blatttemperatur tagsüber bei Sonnenschein über der Lufttemperatur, weil die Sonne durch direkte Wärmestrahlung und durch Strahlung, die auf dem Blatt absorbiert und in Wärme umgewandelt wird, Wärmeenergie zuführt. Nachts scheint die Sonne nicht, und bei klarem Himmel wird sehr viel Wärmestrahlung von der Erdoberfläche abgestrahlt, auch vom Blatt. (Bei bedecktem Himmel reflektieren die Wolken einen Teil der vom Boden kommenden Wärmestrahlung und verhindern, dass die Temperatur zu stark absinkt.)

Warum die Feuchttemperatur für den Gärtner so wichtig ist

Um die Temperatur, die auf die Blätter und Blüten einwirkt, besser abzuschätzen als mit der Trockentemperatur, verwendet man im Gartenbau die sogenannte Feuchttemperatur: Hier umgibt den Temperaturfühler ein feuchter Strumpf. Dieser wird feucht gehalten, indem er wie ein Docht in ein Gefäß mit destilliertem Wasser getaucht wird. Der Strumpf saugt das Wasser nach oben und umgibt damit den Temperatursensor dauerhaft mit einer feuchten Schicht. Nun wird bei der Temperaturmessung auch die Verdunstungskälte mit berücksichtigt. Weil er nicht strahlungsgeschützt ausgestattet ist, wirken auch die nächtlichen Wärmeverluste durch Abstrahlung auf ihn ein. Die Feuchttemperatur kann in manchen Nächten um mehrere Kelvin (Grad Celsius) unter der Trockentemperatur liegen. Es kann z. B. sein, dass die Lufttemperatur bei +2 °C liegt, die Feuchttemperatur aber schon auf –1 °C gesunken ist.

Will der Obstbauer seine Kulturen z. B. mit einer Frostschutzberegnung schützen, muss er die Feuchttemperatur als Entscheidungskriterium für das Einschalten heranziehen. Gleichzeitig muss er die Trockentemperatur im Auge haben, denn die Differenz zwischen den beiden Temperaturen sagt etwas darüber aus, wie stark die auf die Pflanze einwirkende Temperatur kurzfristig absacken wird, wenn er die Frostschutzberegnung in Betrieb nimmt. Manchmal hindern ihn die physikalischen Bedingungen daran, die Beregnung einzuschalten, da der Schaden sonst größer sein kann als der zu erwartende Nutzen. Sie sehen, so ganz einfach ist es auch für den Obstbauern nicht, seine Blüten vor Frost zu schützen. Nebenbei bemerkt: Bei Temperaturen unter –7 °C kann selbst eine Frostschutzberegnung keine Schäden an der Pflanze mehr verhindern, zudem kann die Frostschutzberegnung vereisen und dadurch stark beschädigt werden.

Weil viele Blüten nicht befruchtet wurden, fallen sie nach der Blüte ab, ohne sich zur Frucht weiterzuentwickeln (im Bild: Birnen)

(2) Niedrige Tageshöchsttemperaturen während der Blütezeit

Weil es tagsüber nicht oder nur stundenweise über 12 °C warm war, war der Flug der bestäubenden Insekten sehr gering. Am ehesten waren Hummeln und Wildbienen auf den Blüten zu finden, nur stundenweise die Honigbienen in nennenswerter Zahl. Bei sehr niedrigen Temperaturen ist auch die Nektarproduktion der Blüten gering, so dass sie nicht so attraktiv für bestimmte bestäubende Insekten sind. Weil bei tiefen Temperaturen der Pollenschlauch nur sehr langsam von der Narbe zur Samenanlage im Fruchtknoten der Obstblüte voranwächst, erreicht er die Samenanlage oft nicht mehr rechtzeitig, so dass die Befruchtung ausbleibt. Dann entwickelt sich keine Frucht. Deshalb kann es vorkommen, dass bei manchen Obstsorten die jungen Früchte fast alle abfallen, selbst wenn es keinen Spätfrost gegeben hat.

Blütenbrand bei der Birne: Blütenbüschel, das mit Pseudomonas-Bakterien infiziert wurde und abgestorben ist.

(3) Wenig Sonne nach der Blüte

Von April bis Mitte Mai war es in weiten Gebieten sehr regnerisch mit nur wenigen Sonnenstunden. Die nasskalte Witterung bedingt, dass die Photosyntheserate der Pflanzen deutlich zurückgeht. Gerade nach der Blüte sind aber entscheidende Wochen für die Fruchtentwicklung. Bei suboptimalen Bedingungen werden viele junge Früchte, selbst wenn deren Samenanlagen befruchtet wurden, abgestoßen.

Die nasse Witterung hat bestimmten Bakterien und Pilzen gute Infektionsbedingungen gewährt. Auf etlichen Birnbäumen sind ganze Blütenbüschel verbräunt und eingetrocknet. Das Symptom nennt man Blütenbrand der Birne. Ursache ist eine starke Infektion mit Pseudomonas-Bakterien. Die Triebe erholen sich oftmals wieder, indem sie neu austreiben. Nur selten sterben ganze Äste ab. Dann müssen sie bis ins gesunde Holz entfernt werden. Als besonders empfindlich ist die Sorte ‘Novemberbirne’ (=‘Nojabrskaja’ = ‘Xenia’) bekannt.

Es gibt auch gute Nachrichten: Manche Obstsorten (hier im Bild: eine Birnensorte mit vielen wachsenden Früchten) haben auch die widrigen Bedingungen dieses Frühjahrs gut überstanden. Solche Sorten zu züchten, bemüht sich das Bayerische Obstzentrum.

Nur nicht Trübsal blasen!

Bei so vielen negativen Einflüssen, die unseren Obstgehölzen im heurigen Frühjahr ausgesetzt waren, könnte man als Gärtner schon in Trübsinn verfallen. Aber dazu gibt es gar keinen Grund! Zum einen sind an einem Standort nie alle Obstarten gleich stark betroffen, und auch innerhalb der Obstarten gibt es starke Sortenunterschiede. Deshalb fällt die Obsternte also auch heuer nicht aus, wenngleich manche Obstbäume relativ wenig Behang haben werden. Wohl dem also, der nicht nur einen, sondern mehrere verschiedene Obstbäume in seinem Garten hat! Die Vielfalt macht es also wieder einmal aus!

Übrigens: Für uns als Obstzüchter gibt es keine schlechte Witterung. Gerade in Jahren, in denen die Bedingungen suboptimal für die Obstbäume sind, können wir besonders gut diejenigen ausfindig machen, die diese „Malaise“ gut aushalten. Und das ist für uns wichtig, damit die Sorten der Zukunft den herrschenden Bedingungen angepasst sind. Das ist übrigens schon immer die Triebkraft für die Obstzüchtung gewesen, die Jahrzehnte beansprucht und deshalb schon immer langfristig ausgelegt war. Heutzutage nennt man so etwas „nachhaltig“ und tituliert es als „Züchtung klimaangepasster Kulturpflanzen“. Für einen echten Obstzüchter sind das Selbstverständlichkeiten. Schade nur, dass die an und für sich wertvollen Begriffe durch Überbeanspruchung, die hauptsächlich von weitgehend selbsternannten, spezielle Ziele verfolgenden Experten ausgeht, an Bedeutung verlieren und inzwischen sogar Überdruss in der Bevölkerung auslösen. Dazu ist der ursprüngliche Gedanke echter Nachhaltigkeit zu wertvoll und wichtig.

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