Logo des Bayerischen Obstzentrums, Hallbergmoos
Kostenloses E-Book: Obst für jeden Garten
Zum Online-Shop

Halswelke bei Pflaumen und Zwetschgen

Wie sie entsteht und ob man etwas dagegen tun kann

Autor: Dr. Michael Neumüller
Zuletzt bearbeitet: 31. Dezember 2024

Im Spätsommer und Herbst beobachten wir häufig folgendes Phänomen: In der Nähe der Stielansatzstelle schrumpeln die Früchte von Zwetschgen und Pflaumen. Dort werden sie weich, während der Rest er Frucht noch eine ziemlich lange Zeit prall und fest bleibt. Diese Erscheinung nennt man „Halswelke“. Sie tritt nicht in allen Jahren gleich stark auf. Die Qualität der Früchte wird, wenn sie erst gegen Ende der Fruchtreife eintritt, nicht beeinträchtigt, im Gegenteil, mitunter schmecken halswelke Früchte süßer als die anderen. Tritt sie aber bereits Wochen vor der Pflückreife auf, bleiben die Früchte zäh, sauer und geschmacklos.

Was ist die Ursache für die Halswelke?

Um zu verstehen, wie Halswelke entsteht, müssen wir uns zunächst die Oberfläche der Zwetschgenfrucht genauer ansehen. Die Frucht der Pflaumen und Zwetschgen ist von einer wasserabweisenden, wachsartigen Schicht bedeckt, der sogenannten Beduftung. Sie macht die Früchte optisch sehr attraktiv. Probieren Sie einmal, eine Zwetschgenfrucht an der Hose oder dem T-Shirt zu polieren. Damit reiben Sie die Beduftung ab und die eigentliche Farbe der Fruchtschale wird sichtbar (meist rot-violett oder violett-schwarz). Die für uns so typische blaue Farbe der Zwetschgenfrucht ist nur schön ausgeprägt, wenn auch die Beduftung auf der Frucht ist. (Übrigens: Sie muss vor dem Essen natürlich nicht entfernt werden.) Die Beduftung erfüllt für die Zwetschgenfrucht eine wichtige Funktion: Sie ist wasserabweisend. Nach Regen läuft das Wasser schnell ab. So wird es unwahrscheinlicher, dass Pilzsporen auf der Fruchtoberfläche auskeimen und sie durchdringen können. Die Beduftung wird von der äußersten Zellschicht der Frucht, der Epidermis, nach außen abgegeben und ihr aufgelagert. Sie besteht u. a. aus wachsartigen chemischen Verbindungen, was ihre wasserabweisenden Eigenschaften erklärt. Diese Cuticularwachse, wie man sie in etwas anderer Zusammensetzung auch auf Blättern und anderen pflanzlichen Oberflächen findet, sind auch ein Schutz vor Verdunstung; schließlich soll das Wasser in der Frucht bleiben und nicht zu leicht an die umgebende Luft abgegeben werden.

Halswelke bei einer Zwetschgenfrucht

Drei Faktoren begünstigen nun, dass Halswelke auftritt:

  • Die Sorte, also genetische Faktoren, sind wichtig. Die bekannte ‚Hauszwetschge‘ und die neuere Sorte ‚Toptaste‘ gehören zu den Sorten, die sehr häufig unter Halswelke leiden. (Ziemlich selten tritt Halswelke z. B. bei der Zwetschengensorte ‚Moni‘ auf.) Nicht in allen Jahren leiden Zwetschgen, Pflaumen und Renekloden unter Halswelke. Es muss also noch andere Faktoren geben, die deren Entstehung begünstigen:

  • Es gibt, zumindest für etliche Stunden am Tag, ein hohes „Wasserdampfsättigungsdefizit“ der Luft. Was wiederum ist ein Wasserdampfsättigungsdefizit? Ganz einfach: Luft kann eine bestimmte Menge an Wasser in Form von Wasserdampf aufnehmen, bis irgendwann ein Sättigungspunkt erreicht ist. Dann bildet sich Nebel. Das kennen wir aus dem Dampfbad oder von den Nebelschwaden, die im frühen Herbst in den Morgenstunden über den Wiesen liegen. Je mehr Wasserdampf die Luft noch aufnehmen kann, ehe der Sättigungspunkt erreicht ist, desto schneller verdunstet Wasser aus einem offenen Gefäß, aus einer Pfütze - oder eben aus pflanzlichen Oberflächen wie der Zwetschgenfrucht.

  • Warum gibt es nun im Herbst viele Stunden mit hohem Wasserdampfsättigungsdefizit der Luft? Dazu muss man wissen, dass Luft umso mehr Wasser aufnehmen kann, je wärmer sie ist. Kühlt Luft nachts stark ab, wird schnell der Punkt erreicht, an dem Wasser aus er Luft ausfällt, z. B. in Form von Tau im Gras. Das ist im Herbst häufig der Fall. Erwärmt sich am darauffolgenden Tag die Luft stark, weil die Sonne klar vom Himmel scheint, kann die erwärmte Luft plötzlich sehr viel Wasserdampf aufnehmen, es herrscht ein hohes Wasserdampfsättigungsdefizit der Luft. Das wird ausgeglichen, indem Wasser aus allen möglichen Oberflächen verdunstet - eben auch aus der Zwetschgenfrucht.

  • Gerade, wenn der Spätsommer und der Frühherbst am schönsten ist, also bei klaren, kühlen Nächten und nachfolgend starker Erwärmung tagsüber („Altweibersommer“), sind die Bedingungen für die Entstehung der Halswelke besonders günstig. [Übrigens: Das Wasserdampfsättigungsdefizit der Luft scheint auch der Mensch zu spüren, indem er bei typischem bayerischen Spätsommerwetter das immense Bedürfnis verspürt, sein persönliches, körpereigenes Wassersättigungsdefizit mit allerlei Getränken, die bevorzugt in recht großen Gefäßen ausgeschenkt werden, in schönsten Biergärten und auf bestbesuchten Volksfesten auszugleichen.]

  • Normalerweise müsste die Zwetschgenfrucht aber dann von allen Seiten gleichmäßig „schrumpeln“. Das ist aber nicht der Fall, sie bekommt immer die typische Halswelke. Woran liegt nun das? Wir haben gesehen, dass die Beduftung der Frucht Wasserverlust erfolgreich verhindert. Also dürfte die Frucht eigentlich recht wenig Wasser verlieren. Nun ist es so, dass sich vor der Reife in Stielnähe mikroskopisch kleine Risse in der Wachsschicht bilden. Durch sie kann das Wasser ziemlich leicht an die Luft abgegeben werden. Weshalb sich diese Risse überhaupt und warum sie sich fast nur in der Nähe des Stiels in radialer Richtung ausbilden, ist bis heute nicht wirklich verstanden. Sie sehen, es gibt für die Wissenschaft auch auf dem Sektor des Gartenbaus noch viel zu tun!

Was kann man dagegen tun?

Um ehrlich zu sein: ziemlich wenig. Das Wasserdampfsättigungsdefizit der Luft als treibenden Faktor kann man im Garten mit vertretbarem Aufwand nicht verringern, auch nicht die Entstehung der Mikrorisse in der cuticularen Wachsschicht auf der Oberfläche der Zwetschenfrüchte. Bei Neupflanzungen sollten unempfindlichere Sorten bevorzugt werden (z. B. frühreifende Zwetschgen wie ‚Franzi‘ oder die unempfindliche ‚Moni‘). [Ansonsten hilft nur der pragmatische Ansatz bayerischer Lebensart: Bei klassischem Biergarten- und Volksfestwetter sollte man die sich bietenden günstigen Umstände auch nutzen, dorthin zu gehen und so das Auftreten der Halswelke vielleicht nicht unbedingt vergessen, aber zumindest erträglich zu machen. Sollten die Witterungsbedingungen andere sein, ist ein Besuch dortselbst ohnehin nicht erforderlich, stattdessen kann man die Zeit nutzen, nicht halswelke Pflaumen und Zwetschgen in großer Freude im Garten zu pflücken. So einfach kann es sein, aus Sachverhalten, die nicht zu ändern sind, das beste zu machen.]

Zur Übersicht

Diesen Artikel teilen: