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Was passiert eigentlich bei der Fruchtreife?

Einem alltäglichen Phänomen auf der Spur!

Autor: Dr. Michael Neumüller
Zuletzt bearbeitet: 31. Dezember 2024

Am Baum reifende Apfelfrüchte
Reife Zwetschgenfrüchte

Beißt man in einen unreifen Apfel oder in eine harte Zwetschge, zieht es einem den Mund zusammen. Wenige Tage später kann es sein, dass die Früchte des gleichen Baums köstlich sind. Was hat sich an der Frucht verändert?

Die Fruchtreife ist ein komplexer, von der Pflanze gesteuerter Prozess, der sich in viele Einzelkomponenten zerlegen lässt. Die wichtigesten davon stellen wir Ihnen nachfolgend vor. Koordiniert wird der Ablauf der Fruchreife bei vielen Obstarten u. a. von einem flüchtigen pflanzlichen Hormon, dem Ethen (veraltet: Ethylen). Reifende Äpfel erzeugen relativ viel Ethen und geben es an die umgebende Luft ab. Dadurch wird die Reife benachbarter Apfelfrüchte beschleunigt. (Tomaten reagieren auch auf Ethen. Deshalb werden grüne Tomatenfrüchte, die im Herbst nicht mehr an der Staude ausreifen, in eine Tüte mit ein paar reifen Äpfeln gegeben. Letztere erzeugen Ethen, das die Tomaten relativ schnell nachreifen lässt.)

Zellwandabbau: Die Frucht wird weicher

Jede Frucht besteht aus Tausenden von Zellen. Pflanzliche Zellen besitzen eine relativ stabile Zellwand, die die eigentliche Zelle (Protoplasten) umgibt. Die Zellwand besteht zum großen Teil aus Cellulose. Sie wird vom Protoplasten nach außen abgegeben. Nun kommt noch eine Komponente dazu: Damit benachbarte Zellen aneinander haften, muss eine Kittsubstanz die Cellulosewände der Einzelzellen miteinander verbinden, ähnlich wie Mörtel die Ziegelsteine einer Wand miteinander verbindet. Unreife Früchte sind deswegen sehr hart. Ein wichtiger Bestandteil der Mittellamelle, die die Mörtelfunktion übernimmt, ist Pektin. Beim Reifeprozess werden aus aus dem Protoplasten in die Zellwand Enzyme abgegeben, die die Mittellamelle teilweise auflösen (z. B. Pektinasen und Hemicellulasen). Dadurch sind die Einzelzellen nicht mehr so stark miteinander verbunden, die Frucht wird weicher. Zu weich soll die Frucht aber auch nicht sein, sonst wird die Zwetschge flüssig und der Apfel mehlig, die Birne teigig. Dies ist ein Zeichen von Überreife.

Stärkeabbau: Die Frucht wird süßer

Bei vielen Obstarten, die lange haltbar sind wie beim Apfel und der Birne, ist Stärke der Energiespeicher, aus dem die Frucht die Energie zum Aufrechterhalten der Stoffwechselaktvität bezieht. Stärke besteht aus Traubenzuckermolekülen, die zu langen, verzweigten oder unverzweigten Ketten verbunden sind, sie schmeckt aber nicht süß. Beim Reifeprozess bilden die Zellen der Frucht Enzyme, die den Abbau der Stärke zu Einfachzuckern beschleunigt. Deswegen steigt bei der Reife der Zuckergehalt der Früchte an, was wir als sehr angenehm empfinden. Die in den Früchten enthaltenen Zucker und auch die Stärke (die Banane enthält z. B. sehr viel davon) dienen uns als Energiequelle.

Säureabbau: Die Frucht wird bekömmlich

Unreife Früchte sind häufig sehr sauer. Organische Säuren (z. B. Äpfelsäure oder Citronensäure) schützen die wachsende Frucht vor Befall mit bestimmten Mikroorganismen, aber auch davor, dass sie in einem Zustand, in dem die Samen noch nicht ausgereift sind, von Tieren gefressen werden. Setzt die Fruchtreife ein, wird ein Teil der Säuren abgebaut. So wird das Fruchtfleisch für uns bekömmlich. Ein gewisser Säuregehalt ist aber wichtig für den Geschmack. Säurearme Früchte schmecken fade. Die beste Fruchtqualität beim Apfel und bei Zwetschgen liegt vor, wenn ein hoher Zuckergehalt mit einem relativ hohen Säuregehalt kombiniert ist. Das bezeichnen wir als würzig.

Aromastoffe werden synthetisiert

Während Zucker- und Säuregehalte beim Essen von der Zunge detektiert werden, werden die typischen Aromen von Rezeptoren in der Nase wahrgenommen. (Deshalb haben wir das Gefühl, dass das Essen anders schmeckt, wenn wir Schnupfen und damit eine verstopfte Nase haben.) Es gibt eine Vielzahl von Aromen, die in Früchten vorkommen. Ihre Menge steigt im Reifeprozess stark an. Von Sorte zu Sorte kann sich das Aromaprofil deutlich unterscheiden.

Gerbstoffe werden abgebaut oder gebunden

Wer schon einmal in eine unreife Brombeere gebissen hat, weiß, welchen Effekt Gerbstoffe haben: Man meint, der „Mund ziehe sich zusammen“, zudem haben wir das Gefühl, es sei trocken im Mund, obwohl die Brombeere saftig ist. Schuld daran sind Tannine oder Gerbstoffe, die in hohen Konzentrationen vorkommen. Auch von Schlehenfrüchten kennen wir das. (Apfel- und Birnensorten, die zur Mostbereitung verwendet werden, enthalten ebenfalls viele Gerbstoffe. Sie geben dem Saft eine charakteristische Note. Saft aus süßen Tafeläpfeln schmeckt hingehen flach.) Zur Reife hin nimmt die Gerbstoffkonzentration ab und/oder sie werden an Proteine gebunden, so dass sie andere Eiweißstoffe nicht mehr denaturieren können (wie bei der Brombeere). Ein gewissen Maß an Gerbstoffen in der reifen Frucht ist für uns angenehm, aber die Menge, die wir als angenehm empfinden, ist von Mensch zu Mensch sehr unterschiedlich.

Die Fruchtfarbe ändert sich

Viele Früchte enthalten in der Schale Chlorophyll. Beim Reifeprozess wird das Chlorophyll abgebaut. Dadurch werden die bereits vorhandenen gelben Farbstoffe, meist Carotinoide, deutlich sichtbar, und das violettrot der unreifen Frucht wird zu einem leuchtenden Rot. Der Abbau von Chlorophyll ist also ein Indikator für den Reifeprozess.

Was bedeutet das für die Lagerung von Früchten?

Will man Früchte lange lagern, ist es entscheidend, den Reifeprozess möglichst lange hinauszuzögern. Das geht am besten, indem man die Früchte bei tiefen Temperaturen lagert (1-2 °C). Dabei gilt: Hat der Reifeprozess einmal richtig eingesetzt, lässt er sich kaum mehr stoppen. Besonders ausgeprägt ist das bei Birnen: Werden sie zu spät geerntet, so dass die Fruchreife schon begonnen hat, werden sie innerhalb kurzer Zeit teigig, auch wenn sie sehr kühl gelagert werden. Deshalb müssen Lagerbirnen rechtzeitig geerntet werden. Eine zu frühe Ernte ist aber ebenfalls nachteilhaft. Dann nämlich kann sich die volle Fruchtqualität nicht ausbilden. Hinweise zur Bestimmung des bestmöglichen Pflückzeitpunkts und zur Lagerung finden Sie hier.

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